Von Tuzla nach Lonja

In Tuzla lassen wir uns das Frühstück nicht entgehen. Es wird um 7 Uhr auf das Zimmer gebracht und ist super! Entsprechend spät rollen wir aus der Stadt. Wir sind jetzt Richtung Banja Luka unterwegs, und wir sind nicht die einzigen. Von der Etappe bis Doboj kann ich eigentlich nur sagen: 80 Kilometer konzentriertes balancieren auf der weissen Linie oder besser auf den 10 Zentimetern Asphalt rechts davon. Von der Umgebung sieht man wenig bis gar nichts. Dafür ist die Unterkunft ein Hingucker: wir schlafen in einem Häuschen eines Freilichtmuseum.

Unser Haus für eine Nacht

Am nächsten Tag fahren wir früh los und ziehen uns warm an. Doch der Hügel vor Derventa treibt den Schweiss. In Derventa trinken wir Kaffee, finden einen Bankomat, die ersten zwei auf der digitalen Karte sind Phantome. Im Laden füllen wir die Vorräte auf. Dann geht es rund 10 Kilometer durch einen Hügelzug an die Sava. Leicht geschockt nehmen wir die ganz frischen Absperrbänder mit der Aufschrift „MINE“ zur Kenntnis. Wir haben in den vergangenen Tagen immer wieder Warnsignale gesehen, doch hier ist eine riesige Fläche gekennzeichnet und zwar ganz frisch. Die Strasse entlang der Sava ist genial und hat wenig Verkehr. Das Fahren ist fast so entspannt wie auf einem Radweg. Es überholen uns zwei sportliche Radfahrer ohne Gepäck. Das haben wir lange nicht gesehen.

Wir rasten am Strassenrand, nicht sehr romantisch, aber auf dieser Strasse auch kein Problem. In Koaci ist Dorffest. Vor der Kirche sind die Menschen versammelt, Kinder und Jugendliche in Trachten führen Tänze auf. Im Festzelt wird gefeiert. Ich verliere Christian aus den Augen, er verschwindet schnell in der Menschengruppe. Weil ich ihn offensichtlich suche, werde ich belagert und befragt. „Ich bin aus Zürich“ wird von hinten quittiert mit „Nei, isch nöd wahr!“. Eine Familie aus Seebach und Wallisellen ist da. Wir werden sofort eingeladen, sagen aber, dass wir nicht lange bleiben können. Gegessen haben wir schon.

Die heutige Unterkunft finden wir an einem Badesee unweit des Grenzortes Gradiška. Eigentlich ruhig, nur dummerweise ist heute eine Geburtstagsfeier mit Live-Musik. Wir sind todmüde und können doch nicht schlafen.

In Derventa sind wir bereits wieder in der Republica Sebska

Am Morgen liegt ein Nebel auf dem See. Der Eisvogel fliegt laut rufend vorbei und lässt sich von unserem Frühstück nicht aufhalten.

Wir rollen bald wieder über die Strasse. Kurz vor der Grenze nimmt der Verkehr zu. Kein Problem, wir sind nicht lange auf dieser Strasse.

Morgenstimmung an der Sava in Bosnien
Mahnmal in Jasenovac

Nach der Grenzkontrolle überqueren wir zuerst die Una, dann die Sava und blicken auf die Mündung der Una in die Sava. Im September 2008 waren wir schon mal hier. Auch heute ist der Besuch der Gedenkstätte und des KZ-Museum geplant. Nur, der 5. August ist in Kroatien ein Feiertag und das Museum ist geschlossen. Es stellt sich dann heraus, dass auch alle Läden zu sind. Nicht gut, weil nicht vorhersehbar. Aber wir kommen durch, man sichert sich ja genau für diese Situation ab. Einmal brauchen wir also die Notvorräte…

Ab Jasenovac folgen wir dem Sava Radweg durch den Naturpark Lonja Polje. Super schön und dürfte nie zu Ende gehen. Unterkunft für die Nacht finden wir wiederum in einem wunderbaren Hotel im alten Stil. Hier haben sich zwei Brüder ein Paradies eingerichtet. Und gastfreundlich sind sie!

Sava Radweg
Ein Besucherzentrum des Naturparks Lonja Polje

Von Han Pijesak nach Tuzla

Nach einem wohlverdienten und entspannten Ruhetag starten wir wiederum früh. Bis nach Tuzla müssen wir wieder einige Hügelzüge queren und Übernachtungsmöglichkeiten werden wir wohl keine finden vor Tuzla.

Wir starten auf rund 1000 Metern über Meer und müssen zuerst auf den Pass, auf rund 1200 Meter. Schon im ersten Aufstieg zwickt das Knie und der Ellbogen wehrt sich gegen die Belastung. Das kann ja heiter werden. Wie immer in den Bergen wird man mit spektakulären Ausblicken belohnt und bei Laune gehalten. Die Abfahrt ist dann rasant. Wir halten nur noch bei einer Quelle und füllen alle Flaschen.

Nach Vlasenica geht die rasante Abfahrt weiter. Erst als wir die Abzweigung nach Šekovći nehmen, beginnen die Pedalen zu arbeiten. Das Tal wäre schön, aber ich ziehe einen schlechten Tag ein, sehe heute nur Abfall und finde es stinke überall. Dann zweigen wir ab und überqueren den ersten, hohen (!) Hügelzug. Die Strasse ist schmal und steil, zuerst ganz neu gemacht und dann irgendwann nicht mehr. Wir kommen durch Dörfer, abgelegener geht kaum, fern von jeglicher Errungenschaft der modernen Zivilisation. Es sind Bergbauern, sie haben Schafe, einer kommt mit dem Pferd von der Waldarbeit zurück. Immer wieder denken wir, den höchsten Punkt erreicht zu haben, nur um zu merken, dass es doch noch weiter aufwärts geht. So auch nach der Mittagsrast, die wir auf dem vermeintlichen Gipfel eingenommen haben.

Irgendwann haben wir den Javor bezwungen und die Abfahrt ist diesmal nicht rasant, sondern streng. Schade, aber passend zu meiner Tagesstimmung. Unten angekommen erwarten wir eine Strasse und finden jetzt eine etwas breitere Naturpiste, ebenfalls staubig, aber diesmal mit Lastwagen. Erst auf den letzten Kilometern vor Tuzla erreichen wir eine Strasse und einen letzten saftigen Hügel. Mittlerweile schlägt die Nachmittags Hitze voll zu.

So kann auch der Weg aus den Bergen raus erstaunlich anstrengend sein. In die andere Richtung möchte ich diese Etappe nicht machen müssen. Wir übernachten in einer neuen Pension direkt am Eingang in die Altstadt. Tuzla ist sehr schön und einen Besuch wert. Auf dem Hauptplatz gibt es am Abend live Musik!

Tuzla

Von Rudo nach Han Pijesak – wieder in die Berge (in die Romanija)

Alles planen hilft nichts, die nächste Etappe wird hart. Bis zu den Unterkünften in Bergen sind es 90 Kilometer und rund 1800 Meter Höhenunterschied. Also eigentlich fast nicht machbar. Wir starten trotzdem in den Tag und nehmen es wie es kommt.

Der Morgen ist kühl und neblig, eigentlich herbstlich. 18 km nach Rudo steigt die Strasse rund 400 Meter hoch und eröffnet einen herrlichen Blick auf die letzten Schlaufen des Lim. Diesmal geht es also nicht durch die tiefe Schlucht sondern oben drüber. Dann kommt eine rasante Abfahrt und wir stehen auf der Brücke über die Drina. Hier waren wir vor zwei Jahren schon einmal. Diesmal zweigen wir nach links ab und fahren Drina aufwärts nach Medjedja. Sie ersten 30 Kilometer sind geschafft. Dort gibt’s Kaffee und einen Brunnen, um die Wasserflaschen zu füllen. Dann nehmen wir den Aufstieg in Angriff.

Morgennebel über dem Lim
Mündung des Lim in die Drina

Die Strasse ist schmal, ist bereits im Ort nur noch eine Spur breit. Ausgangs Dorf ist der Belag weg. Es ist eine Schotterpiste, und der Schotter ist tief, das Velo rutscht ständig weg. Die Steigung ist trotzdem gross und so kommen wir nur noch sehr langsam voran. Es braucht Kraft und erste Zweifel kommen auf ob wir heute das Ziel erreichen. Auf rund 1040 Metern machen wir Mittagsrast. Wir sind bereits einem Bauern und drei Netzelektrikern begegnet. Ganz verloren sind wir also nicht. Während der Rast steigt ein Schlangenadler mit Beute im Schnabel hoch. Sehr eindrucksvoll. Dann kommt ein knatteriger alter Golf daher. Der Fahrer hält an, steigt aus, streckt uns die Hand aus. Er will alles wissen, zweifelt, ob wir wissen was wir tun hier oben. Die Verständigung ist nicht ganz einfach, doch wir meinen, zwei Dinge zu verstehen. 1. In rund zwei Kilometern ist die Strasse asphaltiert. 2. Hätte er einen Kombi, er würde uns mitnehmen.

Und so ist es. Bald darauf rollen wir auf ein schönes Strässchen und durch die Hochebene Bosniens – die Romanija, Hügel auf, Hügel ab. Um diese Gegend ranken sich zahlreiche Legenden und Geschichten. So ist hier die Hajducija entstanden. Die Heiducken werden als balkanische Robin Hoods romantisiert, die die (christliche) Landbevölkerung gegen die (osmanischen) Herrscher verteidigt haben sollen, wobei die Grenzen zum „normalen“ Wegelagerertum vermutlich fliessender gewesen sein dürfte, als dies in den Volksliedern besungen wird. Im zweiten Weltkrieg war die abgelegene Romanija ein Zentrum der jugoslawischen Partisanen im Kampf gegen die faschistischen Verbände der Besatzer, der Ustascha und der Tschetniks. Im Bosnienkrieg war die Romanija das Zentrum der serbischen Aktivitäten in Bosnien. Heute ist sie ein Tummelfeld für outdooor-Aktivitäten.

Nach rund 50 Kilometern kommt ein Schild zu einem Hotel. Es ist erst 14 Uhr und wir entscheiden uns, weiter zu fahren. Kurz vorher haben wir in einer Kafana am Wegrand kalte Getränke bekommen.

Durch die Romanija

Völlig überraschend ‚endet‘ das Strässchen in einer Waldabfahrt bei einem Haus. Rechts geht ein schmaler, einspuriger Weg weiter, links ein neues Waldsträsschen und hinter dem Haus kommen zwei kläffende Hunde auf uns los. Zum Glück steigt gerade ein Mann in seinen ramponierten Golf. Er sagt, das Waldsträsschen sei der Weg nach Han Pijesak, durchgängig asphaltiert. Die geplante Route sagt, dass es bei den Hunden weiter geht. Der Mann rattert davon, es bleiben uns nur Sekunden für sie Entscheidung, die Hunde kläffen schon wieder. Also nehmen wir die Waldstrasse. Wir sind noch rund 27 Kilometer vom Ziel entfernt. Für Umwege und um in den unendlich scheinenden Bergwäldern verloren zu gehen bleibt also noch viel Raum.

Die Gegend lebt von der Holzwirtschaft. Die Strasse wurde offensichtlich dafür angelegt. Sie führt Kilometerweit flach (!) durch den Wald, bevor sie dann wieder Hügel auf und Hügel runter führt. Es kommt ein Haus, vermutlich ein Ferienhaus, dann ein abgelegener Hof. Irgendwann kommt eine Abzweigung. Jetzt wird es schwierig. Es sind noch immer 10 Kilometer bis zum Ziel und die geplante Route ist noch weit weg. Also weiter. In einer Lichtung stärken wir uns mit Keksen. Irgendwann erreichen wir eine Anhöhe. Von da sieht man in die Hochebene hinaus und kann an den Wohnhochhäusern im Baustil der Jugosphäre endlich erkennen, wo das heutige Tagesziel ist.

Vier Kilometer vor dem Ort kommen wir auf die geplante Route zurück. Die Strasse steigt nochmal tüchtig an, dann erreichen wir erschöpft Han Pijesak. Im Laden füllen wir die Vorräte und gleiten dann runter zur Unterkunft in einem schönen Gasthof .

Sind wir jetzt oben angekommen?
Strasse für die Holzwirtschaft

Von Andrejivica nach Rudo

Gestern sind wir bereits die ersten Kilometern dem Lim gefolgt. Die nächsten rund 200 Kilometer wird er unser treuer Begleiter sein. Wir folgen ihm bis zu seiner Mündung in die Drina.

Obwohl die Nacht hier oben auf rund 800 Meter über Meer angenehm kühl war, starten wir wiederum früh, nach unserem Frühstücksklassiker im Hotelzimmer und zum ersten mal mit einem Pullover am Körper.

Die erste Stunde zahlt sich das zeitige Losfahren aus: es hat noch wenig Verkehr. Das Tourversprechen 2024 „Durch die wilden Schluchten des Balkan“ ist auf diesem Abschnitt Programm: atemberaubende Aussichten, hohe Felswände, verlassene Schluchten. Kurz vor neun Uhr steht ein Restaurant am Strassenrand. Wir haben die Bergetappe vom Vortag noch in den Knochen und stärken uns mit einer Omelette. Die grösseren Orte Berame und Bijelo Polje lassen wir unbeachtet. Bereits am Mittag erreichen wir das Tagesziel und ein schönes neues Hotel in Brodarevo. Wir sind jetzt schon in Serbien. Am Abend findet ein Spiel des lokalen Strassenfussballvereins statt. Das gesamte Dorf versammelt sich am Sportplatz, wir mittendrin.

Lim, rund 200 Kilometer folgen wir ihm
Einmal ganz nah: über dem Lim
Blick von der Terrasse des Hotels in Brodarevo

Auch am nächsten Morgen starten wir früh. Die Strasse hat sich als Verbindung zwischen Belgrad und dem Meer erwiesen. Fahrzeuge aus halb Europa wälzen sich hier durch. Eine Stunde ohne Verkehr lohnt sich allemal. Heute sowieso, denn der Verkehr zweigt in Prijepolje ab. Nach der frühen Morgenpause kehrt für uns Ruhe ein auf der Strasse und wir haben die nächsten Schluchten (fast) für uns.

An einem vermeintlich verlassen Bahnhofshäuschen (total abgelegen, ehrlich) wollte ich hinter das Gebüsch. Das Velo schon abgestellt, tritt ein Bahnbeamter heraus und fragt mit ernster Miene, was ich hier suche. Ich flüchte mich in die Ausrede, dass ich ein Foto machen wolle und schicke noch die Frage nach, ob das erlaubt sei. Zwei Kilometer weiter, das nächste verlorene Bahnwärter Häuschen. Eine Rangierlok steht auf dem einen Geleise und schnaubt vor sich hin. Der Lokführer trinkt hier Kaffee. Die erstaunten Radfahrer werden sofort eingeladen, die Wasserflaschen an der Quelle zu füllen. So steigen wir die paar Meter von der Strasse runter zum Bahntrasse und füllen die Flaschen.

In Priboj trinken wir Kaffee. Auf der Geländeterrasse hoch über der Strasse gibt es eine Thermalquelle und einen Badekurort. Das Hotel im Grenzstädtchen Priboj heisst den auch Hotel Therme. Wir träumen vom heissen Bad, erfahren im Hotel, dass man fürs Baden in den Kurort hoch muss und entscheiden uns, weiter zu fahren.

Somit schlafen wir an diesem Abend bereits in Bosnien. Nach der Grenze führt die Strasse lange direkt auf der Grenze. Die Häuser gehören noch zu Serbien, eine Exklave gibt es auch. Die Menschen lebten hier Jahrzehnte lang ohne Staatsgrenze…

Rudo liegt ebenfalls erhöht über der Strasse. Nach einem katastrophalen Hochwasser wurde der Ort 1896 erhöht wieder aufgebaut. Das Hotel liegt am Hauptplatz. Wir erreichen es am frühen Nachmittag und beziehen unser Zimmer, während die Velo im Sitzungszimmer nächtigen.

Der Lim zwischen Prijepolje und Priboj