Remilly-Aillicourt – Signy-le-Petit

Diesmal fahren wir nicht los, ohne unsere Vorräte aufzufüllen und zwei Flaschen Wasser pro Person einzukaufen. Es ist grosse Hitze mit Temperaturen über 36 Grad angekündigt. Da sorgen wüsten-erprobte Radfahrer vor.

Wir starten so früh wie mögich und freuen uns über die letzten kühlen Morgenlüfte auf dem Radweg entlang der Meuse. Kurz vor Charleville-Mézières machen wir Pause und entscheiden uns, trotz der angekündigten Hitze noch ein paar Kilometer weiter zu fahren. In Signy-le-Petit gibt es einen Landgasthof, wo wir ein Zimmer reservieren. Nun müssen wir es dorthin schaffen.

Die Rotoren zeigen zu uns – der Wind stärkt uns den Rücken!

Die Ausfahrt aus Charleville-Mézières führt uns zuerst auf eine kleine Strasse, doch diese mündet plötzlich auf eine vierspurige, richtungsgetrennte Strasse. Die Einfahrt führt über die Gegenfahrbahn – es kann also keine Autobahn sein. Wir warten und sehen, dass es nicht allzuviel Verkehr hat. Nochmals tief durchatmen und wir sind drauf. Zum Glück führt bereits nach wenigen Kilometern eine Strasse weg, die uns mitten in ein Dorf bringt mit Bäckerei, mit Bänken im Schatten und einem Wasserspiel. Heute gibt es sogar ein Fussbad zum Zmittag!

Der Rest ist kurz erzählt. Jeder Aufstieg wird zur Herausforderung. Die Hitze alleine würde das Herz schon zum Rasen bringen! Nach fünf Kilometern heisst es Pause machen. Im Schatten sitzen, den Kreislauf beruhigen und den nächsten Hügel in Angriff nehmen. Wir erkennen zwei grosse Unterschiede zur Wüste: 1. die Landschaft ist noch grün, 2. die hohe Luftfeuchtigkeit hilft nicht beim Atmen.

Die Strasse führt über eine Anhöhe mit Windkraftwerken. Der Weg ist ausgesprochen schön und ohne die erdückende Hitze würden wir hier in Wonne durchradeln. Da die Hotelreception erst um 17 Uhr besetzt ist, haben wir alle Zeit der Welt. Wir lassen keine Möglichkeit aus, etwas Kühles zu trinken, machen nochmals Pause und wünschen uns für die letzten Kilometer keine bösen Überraschungen: es folgt eine ausgebaute, flache Strasse mit Radstreifen und Rückenwind. Schliesslich können wir vor dem Hotel mit kühlem Getränk aus dem Laden nebenan warten, bis wir das Zimmer beziehen können. Auch hier erwartet uns ein ausgesprochen hübsches Hotel mit ausgezeichneter Küche!

Verdun – Remilly-Aillicourt

Wir starten gestärkt in den Anstieg auf die Anhöhen hinter dem Ort. Die Strasse ist steil und die Sonne brennt bereits. Im Aufstieg frage ich mich, worum es in ‚diesem‘ Krieg eigentlich ging. Warum bekriegt man sich mitten in Europa jahrelang (!) in einer katastrophalen Materialschlacht, die nie einen Gewinner hevorbringen kann? Am Schluss des ersten Weltkrieges zerfielen das Osmanische Reich, die Österreich-Ungarische Monarchie, das Deutsche Kaiserreich und das russische Zarenreich. Für das heutige Gesicht Europas hatte der Krieg wegweisend gewirkt.

Es sind zahlreiche Gedenkstätten, wir können nicht alle besuchen. Dafür könnte man sich wohl eine ganze Woche Zeit nehmen. Schon im Wald sehen wir die ersten Graben, dann ein erstes Museum. Wir besuchen Douaumont, die Grabstätte der 130’000 gefallenen Soldaten und vergewissern uns, dass Europa gewillt ist, die Tragödien des 20. Jahrhunderts nicht zu vergessen.

Ossuaire de Douaumont – dem Grauen des 20. Jahrhunderts ins Gesicht schauen

Zurück auf dem Velo nehmen wir den direkten Abstieg über eine Waldstrasse nach Bras-sur-Meuse und folgen dann dem Radweg entlang der Meuse. Er führt über schmale Strasse, durch Dörfer, über Felder und Hügel und immer wieder an den Fluss. Es ist ein heisser Tag und in allen Dörfern suchen wir vergeblich nach einem Einkaufsladen. Schliesslich müssen wir jemanden nach Wasser fragen. Wir fragen uns, wo diese Leute einkaufen.

Wir liegen im Schatten einer Kirche und beobachten die Schwalben. Es gibt eine alte Bahnlinie entlang der Meuse, die jedoch nicht mehr in Betrieb ist. Ab und zu wünschen wir uns, dass der Radweg darauf errichtet worden wäre – einige Höhenmeter würden einem erspart. Noch immer haben wir kein kühles Getränk bekommen, weder in einem Restaurant, noch in einem Laden. Es gibt nichts – auch nach 80 Kilometern sind wir an keinem Laden vorbei gekommen. Schliesslich müssen wir ein zweites Mal nach Wasser fragen – eine Verzweiflungstat. Doch die Franzosen nehmens gelassen. Dafür ist die Strasse umso schöner für Velo-Touristen. Sie ist schmal, hat sehr wenig Verkehr, ist abwechslungsreich. Einfach genial.

In Rémilly-Aillicourt gibts dann eine Bäckerei und da steht auch unsere Unterkunft für heute. Ein kleiner Landgasthof mit excellenter Küche und ausreichend Wasservorrat – wir trinken zwei Liter.

Der alte Bahnhof von Vilosnes
Ne jetez pas: Weshalb sollte jemand „jetez“? Um die Radfahrer zu füttern? Oder gibt es keinen Zusammenhang zwischen diesen Zeichen?

Nancy – Verdun: kurze Begegnung mit der Mosel

In Nancy geniessen wir den späten Nachmittag auf der Place Stanislav, essen eine Quiche loraine und lassen die Szene auf uns wirken. Man spricht französisch, Touristen gibt es vereinzelt, aber stören tun wir offensichtlich nicht. Das ist beruhigend.

Uns kommt der Spruch aus der Primaschule zu Karl dem Kühnen in den Sinn: „in Grandson das Gut, in Murten den Mut, in Nancy das Blut“. Ein kurzes Nachlesen und einordnen erklärt dann, weshalb sich in Nancy niemand für Karl den Kühnen interessiert. Wir beschliessen, einen Spaziergang zum Kanal und zur Meurthe zu machen und auf Spurensuche nach Karl dem Kühnen zu verzichten.

Am nächsten Morgen geht es los. Wir finden den Weg aus der Stadt und folgen erst mal der Meurthe. Wir kommen durch ein paar Vororte, dann wird es ruhiger. Die Meurthe wird von zahlreichen Staustufen gezähmt und der eine oder andere Kanal zweigt ab.

Schwäne an der Meurthe
Pause im Schatten

Schon bald verlassen wir den Lauf der Meurthe, das Gelände ist coupiert, doch die Beine sind fit und am ersten Tag tut noch nichts weh. Die Getreidefelder sind grossen Teils schon abgeerntet. Ab und zu liegt eine Herde Kühe wiederkäuend am Strassenrand. Wir machen Pause im Schatten und nehmen die nächsten Kilometer gestärkt in Angriff. Je näher man Verdun kommt, desto mehr wird klar: um die Geschichte dieses Ortes wird man als Besucher nicht herum kommen. Waren es im letzten Sommer Schauplätze des zweiten Weltkrieges, sind wir nun mitten in den Fronlinien des ersten Weltkrieges.

Der Radweg ist am Ende wegen Bauarbeiten unterbrochen und wir müssen noch einmal auf die Strasse und über einen Hügel. Wir erreichen Verdun nach einer langen und strengen Etappe, beziehen das Hotel direkt am Wasser und finden in einem Restaurant auf der anderen der Meuse (Maas) ein feines und nahrhaftes Nachtessen. Velotour funktioniert auch im Sommer 2020.

Tour Planung 2020

Das Jahr 2020 hat Vieles gebracht, das wir uns nicht vorstellen konnten. Lange war nicht klar, ob wir unseren Plan, uns auf den Rhein Radweg zu begeben, umsetzen können. Irgendwann, vor wenigen Tagen, haben wir uns festgelegt, die Tagestouren zusammen gestellt und beschlossen, dass wir jeden Tag entscheiden werden, wie es weitergeht. Doch ist das nicht immer so beim Velofahren? Muss man nicht jeden Tag die Bedingungen prüfen und entscheiden, ob die geplante Etappe möglich ist? Schon, aber 2020 ist doch so ganz anders…

Zug fahren mit Masken

So sind wir nun unterwegs nach Nancy, wollen über Roubaix an die belgische Küste, nach Rotterdam und dann den Rhein ‘hinauf’. Eigentlich eine einfache Tour, und doch so ungewiss wie unsere Ausflüge am Ostrand des Kontinents.