Auf nach Novi Sad

Heute kommen wir mal wieder an einem Ort vorbei, an dem wir schon mal gemeinsam mit dem Velo unterwegs waren. Auf der Tour ‚Rund um Ungarn‘ sind wir 2014 über die Fruška Gora gefahren und haben Novi Sad rechts liegen gelassen. Heute queren wir das Gebirge, um an die Donau und in die Stadt zu gelangen.

Der Aufstieg ist zwar sehr steil, aber nur 5 Kilometer weit, dann sind wir bereits oben. Da waren wir also schon mal, mit dem Velo, vor 8 Jahren! Wir nehmen uns die Zeit und lesen die Informationstafeln zum Nationalpark und den neuen Radwegen (mit-unterstützt von der DEZA). Und die Geologie der Fruška Gora würden wir jetzt auch noch gerne verstehen, wo es doch im Süden genauso eben ist wie im Norden: die englische Wikipedia weiss Rat. Es handelte sich um eine Insel im Pannonischen Meer. Deshalb konnte sich diese reiche Flora und Fauna bilden.

Dann fahren wir runter, halten kurz beim Kloster Rakovac. Die Velos stehen am falschen Ort, wir werden davon gejagt. Oder war es doch wegen der kurzen Hosen in der Klosterkirche? Egal, wir haben einen Eindruck bekommen. Es geht weiter, runter an die Donau und stromabwärts bis zum grossen Park in Sremska Kameniza. Dort haben wir genug von der viel zu schmalen Strasse. Wir queren durch den Park und nehmen die Autobahnbrücke auf die andere Donauseite nach Novi Sad und entdecken den Sandstrand!

Wir fahren zuerst entlang der Donau, besuchen Petrovaradin auf der anderen Seite der Donau, das im Rahmen der Europäischen Kulturhauptstadt 2022 ausführlich renoviert wird. Dann setzen wir uns in ein Strassencafé, beziehen das Zimmer im Hotel und gehen auf einen Stadtrundgang mit Museumsbesuch. Nach 12 Tagen im Sattel sind die Beine sehr müde. Was am ‚Tag in der Grossstadt‘ nicht fehlen darf: Einkaufen für die letzten Ferientage.

Über die Autobahnbrücke nach Novi Sad, Blick auf den Sandstrand

An den Fuss der Fruška Gora

Die schwarzen und weissen Schwäne sind schon wach, als wir das Frühstück suchen. Folgt man dem Schild ‚Breakfasthall‘ steht man in einem zu gross geratenen Abstellraum für Tische und noble Stühle. Es sieht aus, als ob hier die Möbel auf die nächste Hochzeitsfeier warten. Heute gibt es ein Frühstücksbuffet. Im Gegensatz zur Hotelanlage fällt es nicht üppig aus, aber wir finden Nahrhaftes, um unseren Kalorienbedarf zu decken. Der Saft kommt aus der Maschine und schmeckt künstlich, der Kaffee ist leider nicht trinkbar. Bei manchen Maschinen könnte man sich die Mühe sparen, den Knopf zu drücken.

Bald darauf rollen wir in die Ebene hinaus, vermeiden die Nähe zu Bijeljina. Trotzdem hat es erstaunlich viel Verkehr und erstaunlich viele Dörfer. Die Gegend ist sehr dicht besiedelt. Der Pirol singt, wie fast jeden Morgen in dieser Woche an der Drina. An der Grenze warten bereits Dutzende Fahrzeuge und ebensoviele Lastwagen. Wir fahren vorbei und werden sofort zum Schalter für Busreisende gewinkt. Das gibt den Stempel Nummer sechs von Bosnien in fünf Tagen. Dann dürfen wir ausreisen und die Sava überqueren.

Die Sava nördlich von Bijeljina

Die Strasse ist nicht so gut, es windet ziemlich stark und von der Fruška Gora, unserem Tagesziel ist noch nichts zu sehen. Wenn man aus den Bergen kommt, erwartet man in der Ebene eine einfache Etappe. Diese ist uns heute vergönnt. Es ist Zeit für eine Pause. Christian geht in den Laden und kommt mit einer vielversprechenden Packung Guetsli wieder raus. Nach dem zweiten Biss bekommen sie den Übernamen „Sandstürmli“. Wir kommen in Sremska Mitrovica vorbei und machen unter einer grossen Kastanie Rast. Dann verlassen wir die Stadt im Norden, queren die Autobahn und realisieren, dass die Strasse ansteigt. Wir nähern uns den Bergen. Es ist heiss, staubig und streng. Das Wasser aus der Flasche ist wärmer als der Körper, ein klares Zeichen dafür, dass es keine einfache Etappe sein kann unter den heutigen Bedingungen. In Stejanovci trinken wir Limunada mit viel Eis. Zwischen zwei Dörfern nehmen wir die Abkürzung auf einen sandigen Feldweg. Der Feldhase flüchtet.

Dann plötzlich gibt es eine ‚Bodenwelle‘ und man ist im Aufstieg des Bergfusses angekommen. Vrdnik und Thermalquelle: wir kommen! In einem luxuriösen Hotel quartieren wir uns ein und sprudeln im Thermalwasser. Für das schicke Restaurant reicht unsere Garderobe nicht. Wir essen im Dorf.

Fertig Schluchten – Ebene!

Die Brücke mitten in Zvornik können wir nicht als Grenzübergang benützen. Dieser Grenzübergang ist für die Einheimischen reserviert, wie uns der bosnische Zöllner in bestem Englisch erklärt. Einige Kilometer weiter flussabwärts klappt es dann. Wir schlängeln uns auf beiden Seiten der Grenze durch einen riesigen Lastwagen-Stau.

In Zvornik ist schon früh am Morgen viel los

Der heutige Tag ist dem Besuch jener Gegend gewidmet, in der Rio Tinto eine Lithium-Mine errichten möchte und in der die Umweltbewegung „ne damo Jadar“ (wir geben das Jadartal nicht her) aktiv ist. Bevor wir in die Entlebuch-ähnliche Gegend abzweigen machen wir in der Fussgängerzone von Loznica Pause bei einer Limonada (frisch gepresster Zitronensaft mit viel Wasser und etwas Zucker – ein perfekter, balkanischer Durstlöscher) und Baklava.

Die Fussgängerzone von Loznica besteht zum grossen Teil aus Gartenrestaurants

Oben in Gornije Nedelice angekommen sehen wir dann leider gar nichts von der geplanten Mine. Waren die Aktivist:innen schon so erfolgreich? Überall stehen propere Häuser, bei denen jeweils nicht so klar wird, ob es Wochenendhäuser oder schön hergerichtete Bauernhäuser oder beides sind. Auffallend sind die überall frisch asphaltierten Strassen, selbst bis zur kleinsten Hofeinfahrt.

Wir radeln weiter, zuerst das Jadar-Tal runter und dann wieder im Tal der Drina auf einem kleinen Strässchen, das wir wohl ohne Navi nie gefunden hätten…. Später dann auf einer grossen Strasse, auf der kurz vor der Grenze wiederum ein Lastwagen-Durcheinander herrscht. Und so ganz nebenbei sind wir aus den Schluchten in die Ebenen von Senderija und Srem gelangt.

Wenige Kilometer nach der Grenze kommen wir ans heutige Ziel, das Etno Selo Stanišić. Hier hat ein Vermögender in Ballenberg-Manier alte Häuser aus Bosnien in einer Art Dorf zusammengestellt, einen Teich und mehrere Hotels und Restaurants in bosnischem Stil dazugebaut und damit eine Art Gesamt-„Kunstwerk“ geschaffen. Inkl. Kirche, Kloster etc. Hätten wir es nicht selber gesehen, wir würden es nicht glauben, dass es so etwas gibt! Ausserdem wird hier wie schon in Andrićgrad alles so dargestellt, als gäbe es nur serbische Kultur in Bosnien.

Blick über das etno selo – vorne ein altes Holzhaus, hinten die Hotel-Türme

Mystische Drina

Heute wird unser Aufwachen von einem verdächtigen pöpperlen auf das Blechdach unseres Apartamans begleitet. Ist es der für die Nacht vorhergesagte Regen? Ja – bestätigt ein Blick aus dem Fenster. Nach etwas Zuwarten anschliessend an das Frühstück, beschliessen wir bei leisem Regen loszufahren. Doch nach 10 km wird’s uns zu feucht und wir machen an der ersten Kreuzung Halt in einer Kafana und schlürfen eine süsse turska Kafa.

Warten auf das Nachlassen des Regens

Bajina Bašta liegt in einer Weitung der Drina-Schlucht. Kurz nach dem Städtchen verengt sich diese wieder. Der unterschiedlich breite Uferstreifen lässt aber genug Raum für zahlreiche kleine Bauernhöfe mit kleinen Maisfeldern und Wiesen sowie Himbeer-, Brombeer und vereinzelt auch Heidelbeer-Plantagen in allen Grössen und Formen. Zusammen mit den reich bepflanzten Hausgärten und den Blumenrabatten wirkt das Ganze schon fast paradiesisch. Serbien bestätigt hier seinen Ruf als Beerenland.

Der Uferstreifen wird intensiv landwirtschaftlich genutzt und ist geprägt von Beerenplantagen

Die hier nicht mehr gar so hohen und schroffen, von einem dichten Buchen-Mischwald bedeckten Berghänge sind in Wolken- und Nebelfetzen gehüllt – für heute hat sich die Drina in ihr mystisches Gewand gehüllt.

Heute zeigt sich die Drina in ihrem mystischen Gewand

Eigentliche Ortschaften hat es auf den heutigen fast 100 km nur ganz wenige. Sowohl auf der serbischen als auch auf der bosnischen Seite des Flusses hat es eine gut ausgebaute Strasse. Beide haben wenig Verkehr mit Ausnahme der letzten paar Kilometer vor Zvornik. Diese Gegend war vor dem Krieg hauptsächlich von Bosnier:innen bewohnt, die aber allesamt vertrieben wurden. Die Moscheen sind zwischenzeitlich in einer Art Einheitsmodell wieder aufgebaut und die ehemaligen Einwohner:innen sollen nach und nach zurückkommen. Aber noch immer werden Massengräber entdeckt…. Da ist es vielleicht ganz gut, wenn die Drina mystische Wolken und Nebel über den Tag legt.

Hinter den Bergen liegt Bajina Bašta

Vor der Einfahrt in die Schlucht

Bereits vor Višegrad haben wir erste Erfahrungen mit bosnischen Tunnels gesammelt. Im Gegensatz zu den montenegrinischen sind sie hierzulande meist beleuchtet. Die Strasse steigt noch in der Stadt steil an. Eine Ansage für den heutigen Tag. Bald sind wir mitten in einer Schlucht. Die Strasse verläuft entlang der Eisenbahn, sie steigt kontinuierlich an. Nach rund 20 Kilometer, einigen Tunnels und bereits etlichen Höhenmetern erreichen wir die Grenze zu Serbien.

Im Grenzort kaufen wir Brot, Käse und eine Gurke ein. Wir sind jetzt im Tara Nationalpark. Dann klettern wir weiter durch die Wälder, hinauf auf die Kreten der unendlichen Weiten des Balkans. Zu oberst gibt es wieder ein Tunnel, 780 Meter, dann haben wir es geschafft. Es tropft und bald regnet es richtig. Wir ziehen die Regenjacke an! Eine Premiere diesen Sommer. In Kremna treffen wir zwei serbische Radfahrer. Sie machen heute die gleiche Tour wie wir, nur in die andere Richtung. Wir zweigen ab, lassen die (wenigen) 40-Tönner Lastwagen nach Belgrad gerade aus fahren. Der zweite Aufstieg des Tages entpuppt sich als endloser Weg durch einen wunderschönen Föhrenwald.

Blick in die Weite der Berge zwischen Višegrad und Bajina Bašta

Nach einer kurzen Pause machen wir uns an den Abstieg. Eine lange Abfahrt führt uns direkt nach Bajina Bašta, wo wir heute übernachten.

Višegrad !

Wer träumt bei der Lektüre von Ivo Andrić‘s „Brücke über die Drina“ nicht davon, einmal auf dem Sofa mitten auf ebendieser Brücke zu sitzen. Wir haben heute diesen Traum wahr gemacht. Die Brücke ist nicht nur ein eindrückliches, sondern schlicht auch ein schönes, ästhetisches Bauwerk. Der touristische Rummel hält sich in Grenzen und spielt sich vor allem in den Booten auf der Drina ab.

Die Brücke über die Drina

Seit einigen Jahren sollten ja die Touristen nur so nach Višegrad strömen und neben der Brücke die vom Regisseur Emir Kusturica (von ihm stammen Filmklassiker wie Underground, Ariozona Dream, Chat blanc – chat noir) erbaute Kunststadt „Andrićgrad“ besuchen. Als wir dort waren, war dieses städtebauliche Artefakt sozusagen menschenleer. In der Kirche hat eine Angestellte lustlos Kerzenreste weggeräumt. In einem der wenigen (dem einzigen?) geöffneten Lokale mussten wir fast um ein Bier betteln. Abgesehen von Andrić wird in Form von grossen Bronzestatuen ein paar serbischen Grössen gehuldigt. Nichts von dem im Roman über die Brücke so eindrücklich beschriebenen, steten Zusammenraufen der Kulturen und Religionen, von Islam, Katholizismus, Judentum und Orthodoxie. So wie es ist, ist der Komplex vor allem ein einseitiges Zur-Schau-Stellen des serbisch-orthodoxen Teils der Geschichte. Schade um die vertane Chance.

Panorama vom Hauptplatz in Andrićgrad
#menschenleer

Zwar kann Andricgrad durchaus als Nachbau einer urigen, verwinkelten, bosnischen Altstadt mit kleinen Lokalen und Läden (sowie einem Kino) sehen. Doch auch hier bewahrheitet sich, dass gut gemeinte Architektur eben nur gut gemeint ist und nicht mehr. Ob Leben darin stattfindet, entscheiden noch immer die da lebenden Menschen. Und nicht die Touristen, die bestenfalls für ein paar Stunden da sind.

Auf den zweiten Blick wirkt die Stadt irgendwie identitätslos. Die ehemalige Synagoge ist nur Feuerwehrdepot, die Moschee wirkt verlassen und am Bahnhof machen nur noch die Schienen einen gebrauchsfähigen Eindruck. Das einst stattliche Bahnhofsgebäude der bosnischen Ostbahn ist völlig heruntergekommen und von der in Prospekten erwähnten Museumsbahn ist gar nichts zu sehen.
In den Aussenquartieren stehen zahlreiche Kleinst-Reihen-Einfamilienhaus-Zeilen – vermutlich noch immer die Unterkünfte für die seinerzeitigen Flüchtlinge. Ausserhalb der Stadt erinnert ein grosses Mahnmal an die Kriegsverbrechen der kroatischen Ustascha an der serbischen Bevölkerung im zweiten Weltkrieg. Irgendwelche Erinnerungen an den späteren Bosnienkrieg sind nicht auszumachen.

Der einst stattliche Bahnhof von Višegrad an der bosnischen Ostbahn

Aus Tara und Piva wird die Drina – vorbei an bosnischen Städten

Wir lernen dazu: diesmal melden wir uns vom Frühstück ab und erhalten ein Lunchpaket. Sensationell! Es geht wieder früh los. Es liegt noch Nebel über der Piva. Die paar Kilometer bis zur Grenze nach Bosnien haben wir schnell geschafft, die Ausreise geht problemlos, die Einreise in Bosnien ebenso. Nur: vom Zusammenfluss von Tara und Piva zur Drina sehen wir nichts. Für uns das Spektakel des Tages! Ich bin versucht, das Bild meines verzweifelten Versuchs den Zusammenfluss zu fotografieren zu posten.

Nach einer kühlen Nacht liegt Nebel über der Piva

Nach der Grenze ist die Strasse schlecht, in Europa habe ich noch selten eine so schlechte Hauptstrasse gesehen. Uns kümmerts wenig, wir kommen voran und es geht flussabwärts. Vorbei an Orten wie Foča und Goražde, die in der ersten Hälfte der 1990er Jahre aus dem Nichts tragische Allgegenwärtigkeit hatten. Und die heute eigentlich niemanden mehr interessieren. So wie es aktuell mit den vielen Orten in der Ostukraine passiert. In Foča besuchen wir die Aladža Moschee. Sie stammt ursprünglich aus den 1550er Jahren und wurde im Mai 1992 gesprengt. 2019 wurde der prächtige, originalgetreue Nachbau eröffnet. Das alles mag als Lauf der Geschichte bezeichnet werden. Verstehen tun wir‘s dennoch nicht.

Nach Foča wählen wir die kleinere Strasse auf der rechten Seite der Drina. Eine gute Wahl: sie ist schmal, meist gut geteert und hat keinen Verkehr. Rund 10 Kilometer vor Goražde müssen wir dann doch auf die Hauptstrasse. Gerne wären wir bis Višegrad gefahren heute. Aufgrund der Hitze bleiben wir aber in Goražde, der einzigen Stadt der Bosnischen Föderation an der Drina. Alle anderen gehören zur Republika Srpska. Goražde war eine der UN-Schutzzonen im Bosnienkrieg mit zeitweise bis zu 70‘000 Einwohner:innen. Auch hier ist von jener Zeit nicht mehr viel zu sehen. Eine Ausnahme macht die Brücke unter der Brücke, welche die Menschen hier bauten, um den Snipern zu entgehen. Und alles ist etwas ärmer bzw. scheint etwas perspektivenloser als anderswo.

Auch die Drina macht hier nicht mehr den gleich unbeschwerten Eindruck wie weiter oben. Etwas planlos folgt ihr Wasserstand dem Bedarf des Kraftwerks und das Wasser ist nicht mehr ganz so klar. Es scheint fast, dass auch sie nicht so viel Leid und Trauer aufnehmen mag.

Die Brücke unter der Brücke in Goražde

Über die Berge an die Piva

Um 5.30 Uhr läutet der Wecker. Es ist bereits hell. Wir befinden uns am Ostrand der Zeitzone, früh aufstehen fällt also einfach… Im Hotel hat es kein Wasser, Mist ich habe bereits gespült… Wir sind bereit zum Losfahren, wollten aber noch am Frühstücksbuffet vorbei. Es ist Sonntag und um 6.15 Uhr gibt es kein Anzeichen dafür, dass es hier etwas zu Essen oder Trinken geben könnte.

Da wir eine weitere Bergetappe vor uns haben, fahren wir ohne Frühstück los, vorbei an Zabljak, hinaus in die Wiesen- und Steppenlandschaft. Ein Hund in der Grösse eines Kalbes möchte mit kommen. Dann gibt er auf, wir hatten grad ein stattliches Tempo. Das ändert sich, als wir von der Hauptstrasse rechts abzweigen auf eine weitere ‚Panoramic Road‘, übersetzt ‚die Krone von Crna Gora‘. Die Strasse steigt an, hinauf in ein Tal, zuerst noch im Buchenwald, dann bald im Wiesland, vorbei am höchsten Gipfel Montenegros (Bobotov Kuk). Ein Bänkli lädt zu einer Pause, wir essen Früchte. Auf der ersten Passhöhe essen wir Müesli und beobachten die Bergsteiger, wie sie sich für die Tour rüsten. Kühe weiden auf und neben der Strasse und der Parkwächter kontrolliert, ob alle ihren Eintritt in den Nationalpark bezahlt haben.

Zabljak liegt hinter uns
Die letzten Buchen spenden Schatten
Noch immer sind wir im Durmitor Nationalpark
Auf der ersten Passhöhe

Nach der ersten Passhöhe fahren wir va. 300 Höhenmeter runter, um sie gleich wieder erklimmen zu müssen. Linkerhand beobachten drei Gämsen das Treiben. Der Steinschmätzer und die Alpendolen interessieren sich nicht für uns. Kurz nach der zweiten Passhöhe treffen wir einen jungen Velofahrer aus Lichtenstein. Er hat die krasse Höhe von der anderen Seite schon fast geschafft! Die Abfahrt ist lang und entzückt durch wechselnde Blicke und Landschaften. Auf halber Höhe verkauft an einem der spärlichen Stände ein schon recht bierseliger Herr eine Glace am Strassenrand, da sagen wir nicht nein.

Landwirtschaft in den Bergen des Balkan
Auf der Strasse am Pivasee angekommen
Pivasee, das grösste Trinkwasser Reservoir des Balkan

Auf der Strasse entlang des Pivasees angekommen, müssen wir das Licht einstellen und die Leuchtweste anziehen. Es hat hier viele Tunnels. Dienen die Tunnel heute als willkommene Schattenspender? Zum Glück hat es nicht allzuviel Verkehr. Zumindest hat es keine grossen Busse oder Lastwagen. Und das längste Tunnel ist tatsächlich extrem kühl. So erreichen wir müde und erschöpft das wunderbar gelegene Waterfall Rafting Kamp, bekommen eine Hütte und zwei Bier und setzen uns erst mal mit einem Niksicko an den kühlen Fluss.

Morgen werden wir Montenegro verlassen. Es muss hier ausdrücklich festgehalten werden: Montenegro ist ein wunderbares Reiseland, wir sind überall herzlich empfangen worden und hatten ausschliesslich freundliche Gastgeber. Mit Englisch kommt man überall durch und manche können sogar sehr gut Deutsch. Das Essen war immer vorzüglich, höchstens die Portionen sind deutlich zu gross (mindestens 300 Gramm Fleisch).

Zu Besuch in der Partisanen Republik Durmitor

Nun ja, der der Besuch dieses kurzlebigen, aber für die Befreiung von Jugoslawien eminent wichtigen Staatsgebildes, ist nicht der einzige Grund, heutzutage im Schweisse seines Angesichts nach Žabljak hochzuradeln. Doch dazu später.

Auf dem Friedhof von Žabljak verschmelzen die Kulturen. Der Partisanenstern ist allgegenwärtig.

Von Oktober 1941 bis Juni 1942 hat in dieser schwer zugänglichen Bergregion im Norden Montenegros eine Partisanenrepublik existiert. Nebst einem ersten Kongress der Widerstandskämpfer:innen (die AVNOJ – Vollversammlungen gabs erst später) hat Tito hier die Partisanen-Organisation formiert und unter anderem die Offensive an der Sutjeska geplant, welche dann das Ende der faschistischen Besetzung weiter Teile von ex-JU einläutete. Die Einwohner:innen der Republik Durmitor haben hierfür einen immensen Blutzoll bezahlt: Rund 2500 Partisan:innen verloren bei der Verteidigung das Leben. Ausserdem wurde das Dorf vollends zerstört. Auf dem Friedhof und im Wald rund um den schwarzen See sind die Denk- und Mahnmale allgegenwärtig, wenn auch mittlerweile nicht mehr so gepflegt, wie noch vor 20 Jahren bei meinem letzten Besuch. Auch hier verblassen die Erinnerungen…

Heute ist Žabljak einer jener Berg-Touristenorte, von denen es in Osteuropa zahlreiche gibt.
Einerseits wird mit dem Nationalpark Durmitor wird der Schutz der Natur gross geschrieben. Das wilde und weitläufige, auch heute noch nur spärlich besiedelte Gebiet bietet sich hervorragend als Schutzgebiet an (Montenegro ist diesbezüglich vorbildlich: 7.7% der Landesfläche stehen unter Schutz und der NP Biogradsko Gora ist der zweitälteste der Welt nach dem Yellowstone NP in den USA). Der Urwald rund um die zahlreichen glasklaren Seen ist nur eines der eindrücklichen Erlebnisse im Durmitor NP. Die wenigen Wanderwege sind in bekannter Manier markiert.
Andererseits führt der Tourismus zu einer grossflächigen Zersiedlung mit Ferienhäuschen und vereinzelten Hotelkomplexen. Noch wirkt das ganze beschaulich und sympathisch unfertig…

Am schwarzen See mit Blick auf den Bobotov Kuk, den höchsten Berg im Durmitor mit gut 2500 m

Durch die Taraschlucht und hinauf zum Durmitor Nationalpark

Die Nacht in der kleinen Hütte auf dem Campingplatz ist kühl und bequem. Wir schlafen ausgezeichnet, fast etwas zu lange. Es gibt ein Müesli vor der Hütte, die Sonne scheint schon in die Schlucht und dann gehts los. Es ist noch kühl, man spielt mit dem Gedanken, eine Jacke anzuziehen, es soll aber heute über 30 Grad heiss werden, also lassen wir die Jacke. Die Schlucht ist tief und eindrücklich, die Tara weit unten, ein rauschender blauer Fluss. Die Tunnel sind kurz, jedenfalls fast alle. Nach einem kurzen Gegenanstieg erreichen wir die hohe Tarabrücke. Hier wollen wir gegen Zabljak abzweigen. Zuerst gibts noch Limonade und Priganice, frittierte Teigbällchen mit Honig, Konfitüre oder Käse zur Stärkung.

In der Taraschlucht

Dann gehen wir in den Aufstieg, nehmen Kurve um Kurve und steigen immer höher. Es hat noch erstaunlich viel Schatten, die hohen Bäume des alten Waldes helfen uns, die Hitze zu ertragen. Während einer Trink- und Atempause überholt uns ein junger Serbe auf dem Velo. Er ist etwas schneller unterwegs als wir. Dann habe auch wir die Anhöhe erreicht, gleiten hinab in die Hochebene und über einen langgezogenen Hügel hinauf zum Durmitor Nationalpark.

Als wir das Hotel erreichen, setzen wir uns erstmal in die Veranda und trinken eine grosse kalte Limonade. Der Ausblick auf die hohen Berge bestätigt die Entscheidung hier oben einen Tag zu bleiben.

Blick über den Crno Jezero im Durmitor Nationalpark

Am Ruhetag fahren wir hinauf zum Crno Jezero, spazieren rund um den See und geniessen den Ausblick, die kühle Luft und den wunderbaren Urwald.