On the Road again – mit Andy Warhol und Soldat Schwejk

Wir sind wieder on the Road! Nach dem Wilden West vor einem Jahr ist es heuer der wilde Osten. Wir machen uns auf ins Land der Ruthenen, Lemken, Boyken und Huzulen. Klingt auf den ersten Blick fast wie Indianerstämme im Wilden Westen ist in der Tat aber tiefstes Mitteleuropa – mitten. Was vor einem Jahr Sagebrush und Ponderosa Pines waren, sind hier die Buchen. Ein sanft gewelltes Hügelmeer mit Laubwald soweit das Auge reicht. Wir sind unterwegs im Grenzgebiet von einst Galizien und Oberungarn – heute Polen und Slowakei (und etwas weiter ostwärts Ukraine). Ein Landstrich, der von traditionsbewussten Minderheitsvölkern bewohnt wird  – oder besser wurde. Und aus der einer der wohl berühmtesten Künstler des letzten Jahrhunderts stammt: Andy Warhol.

Ein guter Anknüpfungspukt an die letztjährige Reise ist das grosse, Andy Warhol gewidmete Museum in Medzilaborce. Ohne dieses Museum gäbe es kaum einen Grund in diese östlichste kleine Stadt der Slowakei zu reisen – der Ort ist wirklich ziemlich abgelegen! Nach Wien, dem (auch schon abgelegenen) Umsteigebahnhof Kysak (wo wir die schon etwas ungeduldigen Velos auf den Asphalt setzen) sind wir nach drei Tagen dort. Grad rechtzeitig bevor das Gewitter beginnt. Fazit nach dem Sonntagnachmittäglichen Museumbesuch: Die Reise hat sich wirklich gelohnt, denn wo kann man die Originale der Bilder von Marylin Monroe, all der Königinnen, die Campbell Soup Dosen (auch als Bushäuschen vor dem Museum)  und Wayne Gretzky u.v.a.m. in einem Raum bestaunen. Just Great!

Die andere, dunkle Seite dieser Gegend haben wir heute auf dem „transgraniczna Trasa Rowerowa“ erfahren (grenzüberschreitender Veloweg). Der Anstieg zu einem kleinen Pässchen führt durch ein friedliches Tal und auf den Wiesen jagen einige Füchse einander hinterher. Am Strassenrand künden sowjetische Panzer davor, dass es in dieser Gegend einmal ganz anders zu und her ging. Hier fand gegen Ende des zweiten Weltkriegs die Operation XXX statt, mit der die Slowakei vom Hitler-treuen Marionettenregime befreit wurde. Noch grausamer muss es hier im ersten Weltkrieg gewesen sein, als der Stellungskrieg in Galizien in dieser Gegen geführt wurde. Im westeuropäischen Geschichtsunterricht werden uns Verdun und eventuell noch Isonzo vermittelt. Dass es in Galizien genau so war, davon erfahren wir kaum etwas. Und wenn man an einem schönen Sommertag wie heute hier durchradelt – man würde mit keinem Gedanken darauf kommen, ständen da nicht allenthalben Erinnerungstafeln. Die wurden auch erst in den letzten Jahren angebracht und auf einer steht zu lesen, dass der brave Soldat Schweijk mit seiner legendären Kompanie auf dem Pässchen kämpfte, wo heute die Velofahrer in einem kleinen Schutzhüttchen grenzüberschreitend Rast halten.

Aus den einsamen Wäldern zurück in die Stadt: Christina Lake – Chewelah – Spokane

Song of the Day (Steve Earle & Emmilou Harris, Goodbye)
Nun, im Vergleich zur Oregon High Desert oder den Blue Mountains vor einigen Wochen war die Gegend um den Christina Lake so einsam nicht. Aber im Vergleich zu Spokane – nebst Reno der einzigen wirklich grossen Stad entlang unserer Reise – war es dort richtig beschaulich und ruhig. Eigentlich liegen 200 km zum Angewöhnen dazwischen. Doch mittlerweile scheint das für uns schon zu wenig Distanz…

Am Christina Lake haben wir während zwei Tagen im Camp Beverly Hills in einer Cabin die Beine hochgelagert, den warmen Badesee (es soll – im Sommer – der wärmste See von ganz Kanada sein – noch so ein Höhepunkt am Hwy 395) genossen und uns endlich einmal am allabendlichen barbecuen beteiligt. Und wir haben Elisabeth und Armin kennengelernt, zwei Schweizer, die mit ihrem Wohnmobil seit über einem Jahr von Feuerland bis Alaska unterwegs sind. Mit all den Erzählungen war der Abend im Nu vorbei! Am anderen Morgen sind wir bei dem bei Velofahrern nur bedingt beliebten romantischen Pöpperlen aufs Dach aufgewacht und haben beschlossen, noch einen Tag hier zu bleiben statt uns im semi-ariden Westen noch einmal abschiffen zu lassen. Soviele Regentage im Sommer in dieser Gegend sind sicher eine Seltenheit.

Bei frischen knapp 20 Grad sind wir dann am Samstag wieder nach Süden losgeradelt. Auf dem 395er bis Kettle Falls war wieder kaum Verkehr, und wenn dann Ausflügler mit ihren Booten, Schlauchringen und was man sonst braucht für ein gemütliches Wochenende an einem schönen Fluss. In Kettle Falls haben wir dann gesehen, was „Farmer’s Market“ hier heisst: 4 Stände mit je einigen wenigen Dingen zum Verkaufen. Er hat uns ein wenig an Pirot in Südserbien erinnert, wo einige Rentner wohl alle ihre 10 Erzeugnisse aus den Gärten feil boten.

Südlich von Kettle Falls wird das Tal weiter und erinnert ein wenig ans Entlebuch (in XXL Ausgabe, ohne stattliche Bauernhäuser, aber wo immer möglich irgendwelchen Blumen in den Gärten und auf den Veranden). Spätestens nach Chewelah, wo wir nochmals einen Uebernachtungsstopp einlegten, wird spürbar, dass wir uns Spokane mit gut 200’000 Einwohnern nähern. Die Siedlungen werden zahlreicher und grösser, ebenso der Trubel an den Badeseen und der Verkehr nimmt zu. Bald ist der 395er wieder ein richtungsweisender 4-spuriger Freeway. Doch auch hier hat er ein altes Trassee in Form einer Nebenstrasse durch ein lauschiges kleines Tal. Von den ersten Einfamilienhaussiedlungen bis ins Stadtzentrum sind es dann noch einmal gute 10 Klilometer. Dort erwartet uns am Fluss ein ausgedehnter Park, in dem 1974 die Weltausstellung stattfand. Spokane ist die kleinste Stadt, in der je eine Expo durchgeführt wurde. Darauf scheinen die Leute richtig stolz zu sein. Der Park ist gut besucht und noch immer kurvt die für die Expo gebaute Seilbahn am Rand der Innenstadt und über die Wasserfälle (etwas kleiner als der Rheinfall). Und in den Restaurants hat es auf der Speiskarte wieder etwas mehr als Burger und Double-Burger. Ein beschaulicher Ort, um unsere Reise ausklingen zu lassen und definitiv vom Hwy 395 Abschied zu nehmen. Er ist in den letzten zwei Monaten Teil von uns geworden, hat uns die Richtung gewiesen und festen Grund unter den Reifen um eine der schönsten Gegenden der Welt stets mit der Nase im Wind zu erleben.

Geschafft! – Kettle Falls, Wash. (USA) – Lake Christina, BC (CAN)

Song of the Day (J.B. Beverly, End of the Road)

Gestern haben wir nach 2875 km, 18500 Höhenmeter und 48 Tagen (davon an 40 Tagen total 180 Stunden im Sattel) das nördliche Ende des Hwy 395 erreicht. Der letzte Abschnitt war wie vielfach vor einem Grenzübergang: Kaum Siedlungen und noch weniger Verkehr. Auf den letzten 15 km sind uns kaum ein halbes Dutzend Autos oder Lastwagen begegnet. So hatten wir den Hwy 395 noch einmal fast für uns allein. Sein nördliches Ende ist so unspektakulär wie der Beginn im Süden: Keine Ankündigung wie „Here ends the three Flags Highway – Welcome to Canada“. Auch in die südliche Richtung herrscht dieselbe Nüchternheit – nichts von „You enter Hwy 395 – Drive safely to Mexico“ oder irgendeine Distanzangabe wie „San Diego 1510 mi“. Sonst nutzen doch die Amis jede Gelegenheit, um irgendetwas pompös anzukündigen. Aber hier haben sie wirklich massiv Nachholbedarf. Immerhin ist der ca. 4 km lange Abschnitt des 395 auf kanadischer Seite proper gekennzeichnet:


Wir haben eine Strasse vom Anfang bis zum Ende er-radelt und viele Dinge gesehen und erlebt, die bisher nur eine Sehnsucht aufgrund der Landkarte waren. Und wir haben unzählige Dinge erlebt und gesehen, die auf keiner Landkarte, in keinem Buch und auf keiner Internetseite verzeichnet sind. Manches hätte einen zweiten oder dritten Blick verdient. So hat die „Landkarte der Sehnsuchtspunkte“ ganz viele neue Einträge erhalten. Die Strasse ist zwar am Ende aber nicht fertig. Und wir haben vieles hinter uns gelassen, das wir dankbar bei einem der vielen mileposts abgelegt haben und dort besser aufgehoben ist als in unseren Leben. Die schlauen Coyotes werden über diese Dinge sicher noch einige Male jaulen und dann werden sie im endlosen Meer des Sagebrush aufgehen.

Doch das wirklich Schöne an einer Landstrasse wie dem Hwy 395 ist, dass sie einmalig ist und am Ende in eine andere Strasse einmündet. Einbiegen, weiterradeln und das Abenteuer geht weiter! 

Don’t cry because it is over – Smile because it happend.

Auf der ganzen Reise hat uns die Webseite von Cameron Kaiser als eine Art Reiseführer begleitet. Als Kind ist er mit den Eltern jeweils auf dem Hwy 395 in die Ferien gefahren und noch heute benutzt er diesen Highway als täglichen Arbeitsweg. Eines Tags hat er beschlossen, den 395er einmal bis zum Ende zu fahren und fotografisch zu dokumentieren. Als er am Ziel war, hat er ein kleines Gedicht geschrieben.

Zurück in die Wälder: Davenport – Hunters – Kettle Falls

Song of the Day (Leftover Salmon, Aquatic Hitchhiker)

Schon wenige Bodenwellen und Kilometer nach Davenport kehren Sie links und rechts der Strasse zurück und verströmen ihren unvergleichlichen Wohlgeruch, den wir spätestens in Oregon lieben gelernt haben: Die Ponderosa Pines. Zuerst nur einzeln, dann in Gruppen und bis zur Abfahrt an den Spokane River als geschlossener Wald. Obwohl das ganze Gebiet als „National Recreation Area“ vom National Park Service verwaltet wird oder Indianerreservat ist, sind die Wunde. Der einstmaligen Abholzung unübersehbar. Einer der Stützpunkte der frühen Besiedlung durch die Euro-Amerikaner ist Fort Spokane an der Mündung des gleichnamigen Flusses in den Columbia River. Von den ursprünglich über 40 Gebäuden sind zwei als Museum erhalten. Das Fort bestand von 1880 bis 1898. Die hier stationierten Einheiten hatten aber in der ganzen Zeit nie einen ernsthaften Einsatz. Die Ausstellung zeigt eindrücklich, wie langweilig das Soldatenleben mit den stets gleichen Drillübungen gewesen sein muss. Die Erzählungen haben eine verblüffende Ähnlichkeit mit jenen von Joseph Roth über das Leben in den ostgalizischen KuK Garnisonen etwa zur selben Zeit… Nachher wurde das Fort zu einem Umerziehungsinternat für Indianerkinder aus der weiteren Umgebung  umfunktioniert. Das pädagogischeMotto lautete „töte den Indianer im Kind und rette so den Menschen in ihm“. Auch das kommt uns doch aus Mitteleuropa bekannt vor, z.B. in Form der Programme für die jenischen Kinder in der Schweiz oder die Romakinder in Osteuropa. 

Obwohl sich die Gewitterwolken während des Museumsbesuchs verzogen haben nehmen wir den Anstieg aus dem Flusstal hinaus nachdenklich und bedrückt unter die Räder.Abgesehen vom obligaten Spielkasino nehmen wir von der Native-American Besiedlung trotz Reservat wenig wahr. Die Namen der zwei nachfolgenden Siedlungen geben schön die Vielfalt in diesem Abschnitt des Columbiatals wider. Fruitland für die vielfältige Landwirschatft inkl Weinbau. Hunters für die grossen Wild- und Fischbestände, die wir auch wirklich beobachten können. Die Nacht verbringen wir auf eine einfachen Campingplatz am Lake Roosevelt (Stausee) mit wunderbarer Abendstimmung. Es ist wirklich einmalig, an einem See zu sitzen und genau zwei Lichter im ganzen Umkreis zu sehen!

Lake Roosevelt mit Ponderosa Pine

Heute ging es weiter dem aufgestauten Columbia River nach durch einige Siedlungen, deren Ausprägung von „propere Ferienhausansammlung“ bis „es war einmal“ reicht. Auch Kettle Falls ist nicht mehr, was es für mehr als 7000 Jahre war: Friedlicher Begegnungsplatz und Lachsfangplatz für 14 Indianerstämme. Die 1940 im Stausee der Elektrizitätsgewinnung geopferten Wasserfällelagen an einer der grössten Lachswanderwege Nordamerikas. Im Höhepunkt der Wanderung sollen die Indianer bis zu 3000 Fische täglich gefangen haben. Sie nahmen nur jene, die die Fälle nicht schafften und daher auch die Laichgründe nicht mehr erreichen konnten. Das war nachhaltiges Handeln – nicht wie die Abholzung der Wälder weiter flussabwärts. Auch die ursprüngliche Siedlung musste, wie 10 andere auch, dem Stausee weichen und wurde am heutigen Ort neu aufgebaut. Sie verströmt die vielfältige und etwas beliebige Geschäftigkeit jedes ersten grösseren Ortes vor bzw. nach der Grenze. Die kanadische Grenze liegt nur gerade 50 km nördlich. 

Die sanften Hügel werden zur Bergetappe: Pasco – Lyons Ferry

Song of the Day (Van Morrison, Rolling Hills)

Pasco strahlt ein südländisches Flair aus, das wir im nördlichsten US-Bundesstaat unserer Reise entlang des Hwy395 so nicht erwartet haben. Das liegt sicher daran, dass im Stadtzentrum fast alle Geschäfte spanisch beschriftet sind, überall spanisch gesprochen wird und aus allen Lautsprechern schon um halb acht in der Früh mexikanische Mariachi Musik ertönt. Sind die Aufräumarbeiter auf dem Atomwaffengelände mehrheitlich Einwanderer aus Mittelamerika?

Unser Plan ist, den einige Meilen ausserhalb von Pasco beginnenden „Columbia Plateau Trail“ zu nehmen. Es st ein u.a. als Veloweg auf altem Bahntrasse angepriesener State Park. Die ersten und letzten je ca 20 Meilen (von insgesamt ca. 130) sollen bereits ausgebaut sein. Wir finden das Trasse tatsächlich unten am Snake River in wunderschönen Basalt und Löss-Steilwänden. Nach ca 10 km geben wir aber das Vorhaben auf – zu grob sind die Steine auf diesem „Veloweg“ – und kehren nach extrem steilem Aufstieg wieder auf die Hauptstrasse zurück.

auf dem ehemaligen Bahntrassee – mit befahrbarer Unterlage
Wir sind uns ja bezüglich Abgeschiedenheit und Einsamkeit und Distanzen zwischen zwei Orten mittlerweile Einiges gewohnt, aber diese Etappe lehrt uns nochmals wie gross und verlassen des Westen sein kann, auch wenn die Landkarte einen etwas anderen Eindruck erweckt. 55 km nach Pasco kommen wir (abgesehen von ca. Einem Dutzen Farmen/Ranches) zu einem einsamen Schulhäusch oben auf einem Hügel. Daneben hat es noch eine Garage mit 3 Toren, wohl für die Schulbusse und eine Tankstelle, wohl auch für die Schulbusse. Und die Strasse ist gesäumt von Warntafel und -leuchten. Ein ganz schöner Aufwand für das ca Dutzend Schüler, die hier Platz haben und die 2 Autos pro Stunde, die hier vorbeikommen. Dann bei km 87.5 das erste Dorf, in dem wir nach einigem Suchen das Restaurant „Farmers Daughter“ finden. Wir haben mittlerweile ordentlich Durst und die Wirtin stellt uns grosszügig Eistee hin. Ausser uns kommt noch eine Frau vorbei zum Händewaschen (sonst hat sie nichts konsumiert). Das Dorf scheint ansonsten ausgestorben und zeigt erste Züge einer ghost town. Weiter geht es durch die sanft gewellte Hügellandschaft – die absolvierten Höhenmeter haben sich mittlerweile zu einer veritablen Bergetappe summiert. Vom Tagesziel Lyons Ferry am Snake River ist auch 20 km später noch weit und breit nichts zu sehen, dafür kommt noch eine Abfahrt in einen Canyon und der entsprechende Gegenanstieg… Endlich, bei km 125, nach siebeneinhalb Stunden im Sattel und zwei Platten kommen wir an den Snake River und auf der gegenüberliegenden Seite der eindrücklichen Brücke an den lange ersehnten Campingplatz. Der ist wirklich die einzige Uebernachtungsgelegenheit im Umkreis von über 100 km! Gleich nebenan ist die Joso-Bridge, die 1914 bei der Einweihung die höchste und längste Eisenbahnbrücke der Welt war. In 24 Stunden haben wir aber erst zwei Züge gesehen.

Hügel – Canyon – Hügel…

Auch wenn der Campingplatz und der angeschlossene Bootshafen eine minimale Geschäftigkeit ausstrahlen und sogar eine zweite Strassenbrücke über den Snake River in Sichtweite liegen – auch diese Region scheint weitgehend menschenleer. Auf dem Brückengestell nistet ein Paar Fischadler, im State Park treffen wir neben der Reinigungsfrau zwei menschliche Badende und etwa ein Dutzend Gänse. Die wirkliche Sehenswürdigkeit, die Palouse Falls (ein Wasserfall von 60 m Höhe – das letzte, was man in dieser Gegend erwarten würde), lassen wir angesichts der Distanzen und Höhenmeter bleiben und geniessen das kühle Bier im Schatten der Cottonwoods… Die gestrige Etappe hat uns wieder einmal vor Augen geführt, wie gross oder klein unser Aktionsradius ist, wenn wir mit eigener Muskelkraft unterwegs sind.

Über endlose Bodenwellen zum grossen Strom: Pendleton – Pasco

Song of the Day (Woodie Guthrie: Roll on Columbia Roll on)

Nein, es wird uns wirklich nicht langweilig auf unserer Tour von Süd nach Nord durch den Westen der USA! Der heutige Tag hielt als erste Ueberraschung eine zunächst ziemlich schweisstreibende Fahrt durch die endlos scheinenden Bodenwellen des „Palouse Loess Contry“ bereit, die mit einer gemütlichen 30km Abfahrt durch einen der tiefen Einschnitte garniert war. Wäre diese Gegend grün und etwas kleinteiliger strukturiert – sie ginge glatt als Auenland im Herr der Ringe durch… Ich stelle mir vor, dass sich die Farmer mit ihren grossen Feldern und dem umfangreichen Maschinenpark manchmal etwas kleiner fühlen, so wie die Hobbits. Je weiter nördlich wir kamen, desto vielfältiger wurden die Ackerfrüchte auf den bewässerten Feldern. Zum Schluss gab es Lavendel und Kümmel. Und von diesen Feldern aus erblickten wir den zweitgrössten Fluss Nordamerikas – den Columbia River. Er erscheint als unwirkliches blaues Wasserband in der sonst trockenen, immer noch semi-ariden Landschaft.

Riesige Getreidefelder im Palouse Loess Contry nörlich von Pendleton

Also nichts wie runter und dort auf dem Highway 730 (Derzeit höchste Nummer im US-Highway System . Die heutige Route entspricht dem Verlauf des Hwy 395 bis Ende der 1970er Jahre) und dort nach Nordosten in den Rückenwind (:-)) abbiegen! Und nach zwei, drei Meilen folgt das nächste Spektakel: Der Wallulla Gap.  Ein absolutes Highlight für Fans der letzten Eiszeit bzw. der Missoula-Floods. Wir lassen das Sinnieren über die Wassermengen, die damals hier mit Höchstgeschwindigkeit durch das Engnis gedrückt wurden und geniessen das Schluchterlebnis. Die Szenerie mutet uns an wie eine XXXL-Ausgabe des eisernen Tors an der Donau (zwischen Serbien und Rumänien), hier einfach auf einer nahezu steigungsfreien Strasse. 

Wallulla gap

Die restlichen 20 km bis Pasco sind zum Abhaken. Wir biegen auf den Hwy 12 ab, der hat viel Verkehr. Bald kommen wir in die Industriezonen der „Tri-Cities“ (Pasco, Kennewick und Richland sind zu einer Grossstadt mit ca. 200’000 Einwohnern zusammengewachsen). Es muss eine rechte Boomregion sein. Zwischen Niemandsland und Industriezone steht ein Einfamilienhausquartier aus der Retorte und dann wieder nichts. Wo die Leute arbeiten? Die meisten Arbeitsplätze soll es im „Hanford-Site“ geben. Das ist der Ort, in dem seit 1942 Plutonium für die Atomwaffen angereichert wurde, unter anderem auch für jene Bombe, die über Nagasaki abgeworfen wurde. Heute und bis 2065 soll das Gelände aufgeräumt und bereinigt werden. Ein weiteres unrühmliches Mahnmal der US-Geschichte am Hwy 395. Uebrigens: gleich neben Pendleton war bis 2012 eines der grössten Chemiwaffendepots der US-Army.  

Was am Highway 395 los ist: 2 Tage hinter und unter den Kulissen von Pendleton

Song of the Day (Emmilou Harris, Sin City)

Seit wir nach Burns kamen, stellten wir uns immer wieder die Frage, wovon die Leute in dieser abgeschiedenen Gegend leben. Zwischen etwas nach Reno und Burns war es klar, da gab es ja ausser vereinzelten Ranches gar nichts. Aber nachher wurden die Siedlungen etwas grösser. Dass sie ihre besten Tage deutlich sichtbar hinter sich (oder gar nie) hatten, haben wir schon geschrieben. Doch dass der ganze Landstrich der Blue Mountains von etwa 350 auf 350 km derart heruntergekommen erscheint, hätten wir doch nicht erwartet. Mit der Zeit bekamen wir die eine oder andere Antwort auf unsere Frage. Die Holzwirtschaft blühte bis Anfangs der 1990er Jahre. Zwischen Burns und Seneca liegt entlang vom Hwy 395 das Gebiet mit dem grössten von der US-Regierung je getätigten Holznutzungsverkauf. Er war an die Auflage gebunden, eine Eisenbahn zu bauen, die von ca 1920 bis Mitte der 1980er Jahre in Betrieb war. Aber als alle Bäume gefällt waren, gab’s nichts mehr zu holen. Über die Goldgräbersiedlungen haben wir schon geschrieben. Mitchell lebt wohl im Wesentlichen von den paar Touristen, die in die Painted Hills kommen. Nordöstlich davon wird das Land laufend grüner und die Bauernhöfe zahlreicher. Doch Emmentalstimmung kommt nicht auf – jeder dritte Bauer hat eine Art Privatautofriedhof auf seinem. Wahrscheinlich meinten diese Bauern einmal, mit dem Verkauf von Altmetall ein Zusatzgeschäft zu machen. Jetzt haben sie wohl vor allem den verseuchten Boden…. Am schlimmsten war dieser Eindruck in Monument. Hier scheinen mehr als drei Viertel der Leute in mehr oder weniger mobilen Wohnwagen zu leben. Weil es in dieser Gegend selten regnet (ausser als wir da waren…), lagern viele Leute einen Teil ihres Hausrats nicht gerade strukturiert im Vor- oder Hintergarten.  Long Creek war deshalb besser, weil es ein richtiges Restaurant und nicht nur einen „Wagorant“ (ein zur Burgerbraterei umfunktionierter Wohnwagen) gab. Dort haben wir von Rahel und Peter erfahren, dass man auch mit gegen 0 strebendem Einkommen ein Haus erstehen kann. Was die beiden damit alles erlebt haben, kann man nachlesen unter http://hashtonealley.mymusicstream.com/home. Vieles in den Blue Mountains erinnert an die abgelegenen Täler in den Karpaten in Rumänien oder der Slowakei. Zum Beispiel die aus alten Pneus gefertigten Blumentöpfe oder die ab und zu knallig bemalten Gebäudeteile. Der Tankstellenladenpostoffice-Chef in Dale (wir haben nur 3 Behausungen gesehen, wahrscheinlich hats im Wald noch mehr…), hat mich jedenfalls wie eine Furie angefahren, als ich mein Velo an eine Säule der Tankstelle stellte. Er hätte die erst gestern frisch gestrichen. Innen war dann definitiv eine Kopie eines Lebensmittelladens in einem abgelegenen Dorf in Rumänien: Von jedem Artikel gab es 1 bis drei Stück zu kaufen. Einzig das Biergestell war ordentlich gefüllt…. Der Eindruck , dass die ganze Region auf dem Entwicklungsstand gleich nach der Ankunft der ersten Siedler steckenblieb, bestätigte sich in Ukiah. Auch hier kein Händiempfang, dafür ein WiFi fürs ganze Dorf. Das Passwort kostete 5 $ und zum Eintippen musste ich das Händi der Tochter der Hotelinhaberin abgeben. Beim Frühstück hat uns Jim bestätigt, dass in dieser Gegend viele Leute ganz oder teilweise arbeitslos seien und von „governent payments“ und sonst der Hand in den Mund leben. Die Jagd sei z.B. überlebenswichtig hier für die Leute. Mit den Bildern einer einmalig eindrücklichen Landschaft und diesen Fragen rollten wir die 60 km (kein Tippfehler) runter nach Pendleton und hofften in diesem „Unterhaltungszentrum“ von Ostoregon auf einige Antworten auf unsere Fragen.

Pendleton ist mit gut 15’000 Einwohnern die grösste Stadt am Hwy 395 seit Reno (von dort sind wir etwa vor drei Wochen abgefahren).  Schon bei der Einfahrt merken wir, dass hier die Uhren anders ticken – in Pendleton wird schliesslich eines der 4 grössten Rodeos der USA ausgetragen. Es gibt Rotlichter, Betonbrücken unter dem Interstate hindurch und jede Menge Hotels und Restaurants! Als erstes besuchten wir das Kulturzentrum im nahe gelegenen Indianerreservat. In einer grossartig angelegten Ausstellung erfuhren wir vieles über die  „Natives“ dieser Region in den letzten 300 Jahren. Am Nachmittag machten wir uns auf zu einer Tour in den Underground von Pendleton. Wir wussten ja nicht so recht, was da auf uns zukommt. Diese Führung war echt der Hammer. Eine ehemalige Lehrerin (und Schauspielerin im lokalen Theater) schilderte sehr lebhaft, was ein Cowboy durchmachte, wenn er nach einem Jahr Schafe oder Kühe hüten wieder einmal in die Stadt kam. Das war die perfekte Ergänzung aus dem realen Leben zu den Schilderungen über Pete French vor einigen Tagen. Erste Station war der Saloon im Untergrund, wo er einige Drinks zu sich nahm und vom Barkeeper um einen wesentlichen Teil seines in Goldstaub ausbezahlten Lohns gebracht wurde (wie das genau vor sich ging, lässt sich nicht in wenigen Worten beschreiben, aber ich weiss jetzt, weshalb in jedem Western der Barkeeper dauernd die Theke poliert). Dann ging es zum Bad und in die Wäscherei, die von Chinesen betrieben wurde. Das erste Bad am Tag kostete 10 Cents – nachher würde es immer billiger, schliesslich hatte man ja keine Zeit, das warme Badewasser für jeden Kunden auszutauschen…. (Alles im Untergrund und weitgehend original erhalten). Die dritte Station war dann das Bordell. Davon hat es in Pendleton bis 1957 18 Stück gegeben. Erkenntlich waren sie an den geschwungenen Fenstern im ersten Obergeschoss. Eines dieser „Working Girls Hotels“ ist noch weitgehend im Originalszustand erhalten. Es wurde von Miss Stella betrieben, die sehr fürsorglich zu ihren Girls schaute. Als der Methodistenpfarrer 1957 den Bürgermeister mit einer Liste der Freier erpresste, die Bordelle über Nacht zu schliessen, hat sie es mit einer List geschafft, ihres unauffällig weiterzubertreiben, bis sie 1967 starb. Das Gebäude blieb dann bis 1995 unberührt und konnte von den „Underground Tours“ übernommen werden. Miss Stella wird nachgesagt, dass sie das soziale Gewissen der Stadt gewesen sei und sie hat es zu einer Statue an der Mainstreet gebracht. Eine Puffmutter als Stadtberühmtheit – wahrscheinlich nicht nach dem Geschmack des Methodistenpfarrers von 1957…

Miss Stella vor dem Eingang ihrer „cozy rooms“

Zurück zum Underground. Pendletons Altstadt ist durchzogen von Tunnels, die verschiedenen Zwecken dienten. Gebaut wurden sie von den chinesischen Einwanderern. Ihnen dienten die Tunnels und Räume auch als Wohnstätte. Am Tageslicht waren sie von der weissen Bevölkerung nicht erwünscht. Sie arbeiteten beim Eisenbahnbau und übten ganz bestimmte Berufe aus, wie zB der oben erwähnte Bader und Wäscher.  Im Underground gab es auch Bars und Spielstätten zur Zeit des Alkoholverbots (prohibition) und vieles mehr. Alles in allem eine komplett andere Welt als in den letzten rund 8 Tagen in den Blue Mountains!

Das Bad für Cowboys

Das Museum der historical Society des Umatilla County ist das pure Gegenteil zu jenem in Burns. Attraktiv aufgemacht werden die einzelnen Puzzleteile der Geschichte zusammengefügt. Die Puzzleteile sind die verschiedenen Ethnien, die hier leben: nebst den Indianern die Basken, die Portugiesen, die Hispanics etc. Die Gegend hier war eine wichtige Etappe auf dem Oregon Trail, auf welchem die frühen Siedler unter grössten Strapazen auf Ochsenwagen ihren gesamten Hausrat nach Westen schafften (wenn man selber unter Einsatz der eigenen Muskelkraft hier ankam, bekommt man Hühnerhaut beim Lesen der Reiseberichte). Der entbehrungsreichen Reise der frühen Siedler ist ein rechter Teil des Museums gewidmet. Was wir hier in historischer Aufmachung sehen, erinnert in Vielem übertragen in die heutige Zeit an unsere Eindrücke aus Seneca, Monument, Long Creek und Ukiah: „Sorry for the mess, we have just arrived“.

PS: Was es in Pendleton am Hwy sonst noch gibt: Die älteste Sattlerei im Westen der USA mit einer grossen Ausstellung von wunderschönen Pferdesätteln und die älteste Wollmühle (mit Weberei) im Westen.

Bei Hamley’s in der Reitsattelabteilung – durchschnittlicher Preis 2000-3000 $

Bemalte Schluchten und Hügel: Dayville – Mitchell

Song of the Day (Neil Young, The Painter)
Unsere Route hält wie schon so oft, auch heute gleich zu Beginn eine Ueberraschung bereit. Wieder einmal Werweissen wir, über welchen Hügel oder Berg die Strasse als nächstes führt, ohne an den Hängen irgendwelche Spuren von Strasse wahrzunehmen. Die Antwort kommt einige Radumdrehungen später und heisst „Picture Gorge“. Der John Day River und die Strasse schlängeln sich am Fuss von Hunderte Metern hohen Basaltwänden. Diese sollen reich an indianischen Felsmalereien sein, wovon wir aber nichts zu sehen bekommen. Mitten in der Schlucht zweigt eine andere Strasse ab. In der ist dann auch die Abzweigung nach Mitchell. Die Strasse führt in rund 40 km durch eine atemberaubende Gebirgslanschaft und eine (gegen)windige Hochebene mit einer anständigen Steigung auf den Keyes Creek Summit. Auf der anderen Seite geht es steil runter nach Mitchell.

Mitchell (Oregon) im Jahr 2016

Mitchell ist wieder so ein Ort mit perfekter Westernkulisse. Man müsste nur die Autos wegparkieren, die Telefonkabine abmontieren, einige Lastwagenladungen staubigen Sand auf der Hauptstrasse ausleeren und die Touristen noch in etwas andere Kleider stecken (und ihre iPhones durch passenderes Gerät ersetzen, hihihi) und die Dreharbeiten könnten losgehen… Auch die landschaftliche Kulisse rundherum ist schlicht atemberaubend mit den tief eingeschnittenen Canyons und den hohen Basaltsäulenbergen. Wir haben uns im historischen Hotel Oregon einquartiert. Das ist so liebevoll und sanft renoviert und macht den Anschein, dass einiges wirklich seit gut 150 Jahren unverändert blieb.

Etwas ausserhalb von Mitchell erleben wir einen buchstäblich vielfarbigen Tag im reichen Mosaik unserer Reise: Die Painted Hills. Abgesehen davon, dass wir hier 35 Mio Jahre Erdgeschichte in 10 Schritten überblicken können, ist das Farbenspiel einfach nur unermesslich schön.  

Toter Baum vor farbigem Lehmberg
Aussicht beim Picknick
Painted Hills von oben

Nach dem Essen (seit Tagen gibt es entweder Burger oder Selbstgekochtes) sitzen wir auf der Veranda des Hotels und tauschen uns mit anderen Reisenden aus. Dabei beobachten wir, wie die Hirsche immer Näher zu den Häusern kommen. Christian zieht los, um die Tiere zu beobachten, bleibt aber auf der Wiese via-à-vis vom Hotel schwatzend bei einem Wohnmobil stehen. Es dauert einige Zeit bis ich realisiere, dass das Wohnmobil eine Schweizer Nummer hat! Wir haben Sonja und Thomas getroffen!

Es war einmal… : Seneca – Dayville

Song of the Day (Dolly Parton, A few Old Memories)

Der heutige Tag steht unter dem Motto „es war einmal“.

Seit einigen Tagen haben wir begonnen, unsere Wasserflaschen ins Gefrierfach zu legen, um am Morgen gefrorenes Wasser zu haben. Wenn die zweite Flasche Wasser gegen Mittag zum Einsatz kommt, haben wir so auch bei über 30 Grad in der Wüste eine kühle Erfrischung unterwegs, was sehr wertvoll ist. Heute kommt es uns grotesk vor. In der Hochebene von Seneca (hält den Kälterekord von Oregon) hat es richtig abgekühlt und unsere Hände stecken in Handschuhen, als wir die Flaschen am Velo fixieren.

Unser täglicher Pass heisst heute Starr Ridge Summit. Oben drauf hat es einen schön gelegenen Campingplatz. Allerdings ist ein paar Meter weiter fertig mit schön. Im letzten August hat ein riesiger Waldbrand alles auf den nächsten ca 25 km vernichtet. Zwar hat es einige verschonte Ecken, aber es ist unglaublich, was ein solcher Brand alles zerstören kann.

Etwas weiter talwärts kommen wir nach Canyon City. Wir lesen, dass dies mit 10’000 Einwohnern einstmals die grösste Stadt Oregons gewesen sei – grösser als Portland. Weshalb? Richtig geraten: Es hat mal einer Gold im Bach gefunden und ein Goldrausch hat eingesetzt. Heute leben noch ein paar hundert Leute hier und es scheint, dass sie vor allem davon leben, die besseren Zeiten zu zelebrieren…


Kurz darauf kommen wir nach John Day, der Siedlung mit der einzigen Verkehrsampel im ganzen Grant County, wie sie in einem Prospekt stolz verkünden. Da uns angesichts des beinahe Nullverkehrs nicht einleuchtet, weshalb alle Ampeln auf rot stehen, müssen wir dieses Unikat leider missachten. Weiter geht’s dann (trotz Gegenwind) talabwärts nach Dayville, wo wir bei Mike im Fish House Inn ein nettes Zimmer kriegen und uns wundern, weshalb am Nationalfeiertag nicht mehr los ist.

Durch das ungezähmte Land, wo der alte Westen 1897 sein tragisches Ende nahm: Frenchglen – Burns

Ohne es anfänglich zu Wissen, haben wir schon die letzten zwei Tage jene ungezähmte Landschaft im Westen der USA durchstreift, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eines der grössten Viehimperien war. 1872 trieb Pete French mit 6 mexikanischen Vaqueros 1200 Rinder von Kalifornien in Richtung Norden auf der Suche nach neuen Weidegründen. Finanziert wurde er vom Industriellen James Glen. Als er die sattgrünen Wiesen im heutigen Catlow-Valley erreicht hatte (siehe unseren Beitag vom xx), war die Suche zu Ende. Er traf auf einen Siedler namens Porter, dem er seine kleine Viehherde inklusive der Siedlungsrechte östlich des Steens-Mountain im heutigen Blitzenvalley sowie den Brand „P“ abkaufte. Die „P-Ranch“ war geboren. In den folgenden Jahren baute French seine Ranch dauernd weiter zu einem eigentlichen Vieh-Fürstentum aus, einem der grössten im ganzen Westen. Dabei ging er reichlich schlitzohrig vor: Durch die geschickte Anlage von Dämmen und Kanälen überflutete er Land, das er unter den vergünstigten Bedingungen des swamp-act erwarb und er hielt seine Angestellten dazu an, so genannte homesteads zu erwerben, die er ihnen anschliessend wieder abkaufte. Schlussendlich gehörten ihm neben dem Catlow auch das Blitzen und das Diamondvalley mit einer Fläche von 800 Quadratkilometer (d.h. halb so gross wie der Kanton Zürich). Dazu gehörten zahlreiche Gebäude für Angestellte und Gäste wie das legendäre Hotel in Frenchglen oder die „Round Barn“ zum Zureiten von Pferden im Winter. Leicht vorstellbar, dass das nicht konfliktfrei vor sich ging. 1878 überfielen die Einheimischen Indianer die P-Ranch und brannten die Gebäude nieder. Die Auseinandersetzung mit den Indianern hielt monatelang an und einmal soll Pete French sein Pferd unter dem Füdli weg erschossen worden sein… In den 1880er und 1890er Jahren waren es die kleinen Siedler, die ihre Wasserrechte einforderten und bei denen French geringes Ansehen besass. Am Stephanstag 1897 öffnete French ein Tor in ein Sagebrushfeld, um sein Vieh durchzutreiben. Dabei kam es zu einer Auseindandersetzung mit dem Siedler Ed Oliver, der mit French schon früher Grenzstreitigkeiten hatte. Oliver erschoss dabei French mit einem Schuss in den Kopf. Ob in Notwehr oder nicht blieb unklar – jedenfalls wurde Oliver nicht verurteilt. Ob French an jenem Tag eine Waffe trug oder nicht, blieb ebenfalls unklar. Sein perlmuttbesetzter fünfschüssige Revolver ist im Harney County History Museum wie eine Reliquie ausgestellt. Daher gelten die Weihnachten 1897 als „end of the Old West“, will heissen der grossen Viehbarone. Diese Tage gelten auch als Ende der so genannten „Range wars“. 

Grosse Teile des von French erworbene Landes – insbesondere das Blitzenvalley – ist eine der wichtigsten Raststätten für Zugvögel im Westen der USA. Mit seinen Aktionen zur Vergösserung der überfluteten Landfläche hat Pete French ironischerweise das Feuchtgebiet vergrössert. Den Vogelreichtum hatten in den 1880er Jahren auch die Federnjäger erkannt. In etwa 10 Jahren dezimierten sie die Anzahl Vögel auf einen Minimalbestand, so dass sich die Jagd nicht mehr lohnte. Als sich 10 Jahre später keine Erholung der Vogelzahl abzeichnete, dokumentierten Vogelkundler  den Reichtum der Vogelwelt und die verheerenden Auswirkungen der Jagd. Sie lobbyierten bei Präsident Rossevelt und erreichten, dass 1908 das Malheur Wildlife Refuge geschaffen wurde. Zunächst in den Gebieten nördlich des Blitzenvalley.

Nach dem Tod von Pete French wurde die P-Ranch nach und nach verkauft. 1935 wurden die Reste der P-Ranch vom amerikanischen Staat zurückgekauft und ins Malheur Wildlife Refuge eingegliedert. Doch hat sich damit der Kreis swampland-Ranchland-swampland geschlossen? Nein. Die zahlreichen und spektakulären Wildtierbeobachtungen, die wir vorgestern machen durften (die Vögel können wir gar nicht aufzählen, Fischotter, Hirsche uvm.), dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass das ganze Oekosystem komplett umgekrempelt ist und nicht mehr dem entspricht, was die ersten Trapper der Hudson Bay Company angetroffen hatten. Es ist nicht vergleichbar mit der wirklich unberührten Wüstengegend des Sheldon Wildlife Refuge, das wir zwischen Plush und dem Virgin Valley Campground durchquert haben.

Nach unserer Beobachtung ist die Roaring Springs Ranch das letzte „intakte“ Stück des ehemaligen Rinder-Imperiums. Sie bewirtschaftet eine Fläche von etwa 4500 Quadratkilometern (davon etwa 3500 qkm öffentliches Land; insgesamt also 4x die Fläche des Kantons Thurgau oder mehr als der halbe Kanton Graubünden!!). Und wenn man auf deren Webseite geht, dann lebt der „gute alte Westen“ durchaus weiter – einfach mit einem ganz neuen Geschäftsmodell! Die Durchquerung dieser Ranch war ja immerhin fast eine ganze Tagestour auf dem Velo! Wie anstrengend muss das in der Zeit vor den Strassen gewesen sein…

Nicht nur die produktive Seite des alten Westens lebt in der in neuen Form des Country Natural Beef fort. Auch die „Range wars“ sind in neuer Form zurück. Vom 2. Januar bis 16. Februar 2016 hielten rund 30 bewaffnete, regierungsfeindliche Milizionäre den Hauptsitz des Malheur Wildlife Refuge besetzt. Kurzfristig wollten sie die Freilassung von zwei Rancher erreichen, die wegen Brandstiftung auf öffentlichem Land zu 5 Jahren Gefängnis verurteilt wurden. Längerfristig wollten sie die Abgabe von öffentlichen Ländereien (u.a. des Refuges) an Private erreichen. Bei der Verhaftung eines Teils der Milizionäre kam es auf dem Highway 395 zu einer Schiesserei, im Verlauf derer einer der Besetzer erschossen wurde.

Heute verbringen wir den Tag in Burns, der ersten Siedlung mit mehr als 2000 Einwohnern seit einer Woche. Zum grösseren Teil scheint hier alles die besten Tage hinter oder vor sich zu haben. Nicht einmal die schnelllebigen Internet-Kartentools Vermögen der raschen Entwicklung im „real-life“ zu folgen. Jedenfalls war die altbewährte Methode des Herumfragens bei der Suche nach einer Laundry zielführender als die Konsultation des Internets. Vom Besuch im County History Museum haben wir uns einige Erklärungen über diesen Landstrich erwartet. Weit gefehlt: Die Ausstellungsstücke stehen so beliebig in dem Gebäude wie die Ranches in der Landschaft und die Läden, Tankstellen etc. in Burns. Eine „unfertige Gegend“? Sicher kommen wir mit unseren europäischen Vorstellungen nicht weiter. Ist eigentlich auch gar nicht nötig im Land des ewigen Duft des Sagebrush.

Die Reste der P-Ranch
Durstige Reiter im Sagebrush-Country
  
PS: Geschrieben in der Nachmittagssonne auf der Veranda des Silver Spur Motel am Hwy 395 in Burns, begleitet von KLAD, Oregons Country Giant